Das Thema Gewalt an Schulen hat aktuell an Brisanz zugenommen. Ein relevanter Aspekt ist dabei sexualisierte Gewalt durch Worte und Handlungen, auch in der digitalen Welt, ausgeübt von Mitschülern und seltener von Schulpersonal. Diese Art der Gewalt gehört glücklicherweise nicht zum Alltag aller Schulkinder in NRW. Doch es gibt immer wieder Vorkommnisse, vor denen nicht die Augen verschlossen werden dürfen, da sie nicht spurlos an Kindern vorbeigehen. Dies bestätigt auch das BKA in seinem am 8. Juli 2024 vorgestellten Lagebericht zu Sexualdelikten.

Schulen müssen daher wissen, wie sie im Fall jeglicher Form von sexualisierter Gewalt reagieren sollen.

Mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen schon 2022 alle Schulen verpflichtet, ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt zu erarbeiten. Viele Schulen können überzeugende Ergebnisse dieser anspruchsvollen Aufgabe präsentieren, andere scheinen sich weniger Mühe gegeben zu haben. Entscheidend ist aber, ob die Konzepte betroffenen Schülern tatsächlich helfen.

Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW und die Landeselternschaft der Realschulen NRW haben dies zum Anlass genommen, im Mai bzw. Juni 2024 Elternbefragungen durchzuführen. Der Schwerpunkt lag auf der Frage, ob Eltern und Schüler vom Schutzkonzept der eigenen Schule wissen und ob ihre Vertreter an der Erstellung beteiligt waren. Außerdem interessierte uns, ob die Teilnehmer Informationen darüber erhalten hatten, an wen sie sich wenden können, wenn sie bzw. ihr Kind zum Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind.

1820 Antworten sind insgesamt eingegangen. Dabei hat sich eine anhaltende Überforderung etlicher Schulen durch das Thema sexualisierte Gewalt gezeigt.

  • Über die Hälfte der Teilnehmer geben an, noch nie von einem Schutzkonzept gehört zu haben.
  • Nur ein gutes Viertel der Teilnehmer ist darüber informiert, an wen sich Betroffene innerhalb der Schule wenden können.
  • Nur 17 % können von Aushängen zu Anlaufstellen außerhalb der Schule berichten.
  • 15 % der Teilnehmer geben an, von Vorfällen sexualisierter Gewalt an ihrer Schule zu wissen.

 

Bei der Frage, wie gut die Schule auf gemeldete Vorfälle reagiert, ist das Bild sehr gemischt.

  • 24 % der Betroffenen bewertet die Unterstützung und Beratung durch die Schule als gut oder sehr gut.

Diese Personen wissen zu 63 % von einem Schutzkonzept und sind zu 54 % über Anlaufstellen in der Schule informiert.

  • 43 % der Betroffenen bewerten die Unterstützung und Beratung der Schule dagegen als mangelhaft oder ungenügend.
    • Dabei gibt es kaum Unterschiede, ob, wie in den meisten Fällen, eine Lehrkraft oder (auch) Schulleitung und Schulsozialarbeit involviert sind. Es wird von Lehrkräften berichtet, die Probleme nicht wahrhaben wollen und herunterspielen oder die sich selbst als machtlos beschreiben. Derartiges Verhalten der Schule hat in einigen Fällen dramatische Auswirkungen auf Schulkarriere und psychische Gesundheit von Schülern.

Daher empfehlen wir:

  • Verpflichtende Einbeziehung der ganzen Schulgemeinschaft, insbesondere der Mitwirkungsgremien bei der Erarbeitung des Schutzkonzeptes sowie Evaluierung im Dreijahresrhythmus, damit das Konzept Wirkung entfalten kann
  • Thematisierung von Konsens, Grenzen und Machtdynamiken im Unterricht mit dem Zeil der Vorbeugung, aber auch, um eine bereits vorhandene „rape culture“ einzudämmen
    • Hier würde sich, um die Motivation der Schüler zu erhöhen, z.B. Projektarbeit mit verschiedenen von den Schülern mitbestimmten Angeboten zur Auswahl empfehlen.
  • Information der Schulgemeinschaft über interne Ansprechpartner und externe Hilfsangebote
    • Informationen über das Schutzkonzept auf der Homepage der Schule
    • Aushänge an Orten wie den Toiletten, an denen Schüler die Informationen unbeobachtet lesen können, mit Hinweisen auf die Angebote von Schulpsychologischem Dienst, den Krisenbeauftragten der jeweiligen Bezirksregierung, Jugendamt, Kinderschutzbund usw.
    • Gezielte Informationsweitergabe an Betroffene und ihre Familien
    • Verpflichtende Meldung von Opfern sexualisierter Gewalt an die gesetzliche Unfallkasse, um den bestmöglichen Zugang zu Therapien zu eröffnen
  • Fortbildungsangebote und Unterstützung für Lehrkräfte, um flächendeckend Handlungssicherheit zu erreichen
    • Je nach Schüleranzahl sollten möglichst zwei Lehrkräfte (männlich/ weiblich) nicht nur der Schülerschaft, sondern auch dem Kollegium als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
    • Supervisionsangebote wären förderlich.
    • Evaluierte Fortbildungsangebote mit erfahrenen Referenten für den Einstieg in das Thema, spezielle Angebote für Lehrkräfte mit betroffenen Kindern in der Klasse
  • Eine unabhängige Anlaufstelle auf Landesebene für diejenigen, die in der Schule kein Gehör finden

 

Das Ziel muss eine Atmosphäre frei von Angst sein:

  • Es darf nicht sein, dass Opfer die Schule wechseln müssen, um sich vor fortgesetzten Handlungen des Täters oder feindlichen Reaktionen anderer Mitglieder der Schulgemeinschaft zu schützen.
  • Sowohl diejenigen, die einen Vorfall oder Verdacht melden wollen, als auch diejenigen, die – vielleicht zu Unrecht – bezichtigt werden, müssen sich darauf verlassen können, dass sie in einem vertraulichen Gespräch mit dem schulischen Ansprechpartner offen ihre Sicht der Dinge schildern dürfen.